Englisch lernen auf dem Rücken der Pferde

5. Dezember 2006 / Luzia Bachmann

Sprachaufenthalt auf einer Gästeranch in Kanada... Bevor ich meine zweite Ausbildung begann, wollte ich mein Englisch aufbessern und auf Reisen gehen. Durch ein Inserat stiess ich auf ein Angebot einer Gäste Ranch mit neun StudentInnen, Englischlektionen am Morgen und Freizeitprogramm am Nachmittag. Mitten in der Natur im Westen von Kanada. Zudem kann Reiten erlernt werden. So meldete ich mich auf der «Camel’s Hump Guest Ranch» der Familie Salzmann an. Bald darauf war es soweit. Es hiess Abschied nehmen von Familie und Freunden, und auf ging’s…

Angespannte Reise

Es folgte die Zugfahrt nach Zürich und dann das grosse Warten. Als ich dann endlich im Flieger sass, war die grösste Anspannung fürs Erste weg. Dafür hatte ich Zeit zum Überlegen. Wie es wohl wird? Über die Familie Salzmann wusste ich, dass sie ursprünglich aus Ballwil LU kam und nach Kanada ausgewandert war. Die StudentInnen, die dort sein werden, sind SchweizerInnen und eine Deutsche. Was kommt wohl auf mich zu? Der Flug verlief ruhig. Dann kam das Umsteigen in Toronto. Der Zöllner nahm es gemütlich. Mit einem Seelenfrieden malte er mir ein Visum in den Pass, während dessen ich von einem Fuss auf den anderen trat und immer nervöser wurde. Ich musste doch mein Gepäck holen und den Anschlussflieger erwischen. Nach Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, war der Eintrag endlich fertig. Nun war ich Besitzerin eines Visums für ein halbes Jahr Aufenthalt in Kanada, was ich eigentlich gar nicht brauchte - aber das war dem netten Zöllner wohl egal. Willkommen in Kanada! Den Anschlussflug nach Kelowna, Britisch Kolumbien, erreichte ich doch noch rechtzeitig. Dort wurde ich von Urs Salzmann, dem Besitzer der Ranch, persönlich abgeholt. Mit dem Gepäck hinten auf dem Pick-up fuhren wir zur Gäste Ranch. Brigitte Salzmann, ihre Kinder Tamara, Jessica und die anderen StudentInnen erwarteten uns gespannt. Nach der Begrüssung wurde mir meine Unterkunft gezeigt, ein kleines Häuschen, welches für die nächsten Wochen mein Zuhause wurde.

Camel’s Hump Guest Ranch

Nach dem dem Morgenessen ging ich auf Entdeckungsreise. Im Blockhaus wohnte die Familie Salzmann. Dort wurde gegessen, gespielt oder Pläne für die nächsten Tage besprochen. Etwas abseits des Hauses standen versetzt drei Häuschen, in denen jeweils zwei bis drei StudentInnen wohnten. Sie sind gemütlich mit grossen Betten, Dusche/WC und einer kleinen Küche mit Kühlschrank ausgerüstet. Vor der Türe befanden sich eine kleine Veranda um die Sonne zu geniessen oder am Abend bei einem Bier zusammen zu sitzen. Rund um die Häuschen grasten Pferde, auch Hühner liefen frei umher, bewacht von den Hunden. Die Ranch lag eingebettet im bewaldeten Creighton Valley dreissig Minuten Autofahrt von der nächsten Ortschaft Lumby entfernt, in der Sonnenstube von Kanada.

Die etwas andere Schule auf der Ranch

Der Unterricht fand jeweils am Vormittag statt. Pat, unsere Lehrerin, kam jeden Morgen auf die Ranch. Je nach Witterung sassen wir draussen oder im Schulhäuschen. In einem Interview wurde der oder die «Neue» am ersten Tag vorgestellt. Der Unterricht bestand aus zwei Teilen: Unterteilt in Anfänger und Fortgeschrittene, wurden spezifische Probleme behandelt. In der ganzen Klasse wurde mehr Allgemeinwissen und neue Wörter gelernt, Interessantes über Land und Leute erfahren oder auch mal ein IQ-Test auf Englisch gemacht. Es durfte auch mal ein Huhn auf der Bank sitzen und ins Grammatikbuch schauen. Wenn es dann auch noch schön den Kopf von links nach rechts bewegte und an der Seite pickte zum Umblättern, war das der perfekte Lacher. Pat wendete aber auch unkonventionelle Methoden bei besonders hoffnungslosen Fällen an. Heisst es nun «I was…», oder «I were…»? Nachdem ich die englische Grammatik zum x-ten Mal falsch von mir gab, überlegte es sich Pat anders: «Beim nächsten Mal wirst du nass!» sagte sie. Trotz des guten kanadischen Wassers, welches sie mir an diesen heissen Tagen zur Abkühlung über den Rücken kippte, werde ich es wohl nie lernen…. Jeden Donnerstag machten wir einen Ausflug. Wir besuchten mit unserer Lehrerin interessante Orte, eine Weinkellerei, einen Markt, eine Pferdeauktion oder besichtigten Vernon, die nächste Stadt mit ihren eindrücklichen Wandbildern. So vergingen die Englischlektionen wie im Flug und die Umgebung konnte erkundet werden.

Hoch zu Ross...

Da sass ich auf einem Pferderücken und hielt mich am Sattel fest. Nur nicht runter fliegen und immer schön lächeln, damit die Zuschauer nicht merken, dass mir das Ganze nicht so geheuer ist! Zum Glück haben die Westernsattel so ein schönes Sattelhorn. Von Runde zu Runde machte es mehr Spass. Zuletzt konnte ich selbst die Zügel in die Hand nehmen, wobei Skip (mein Pferd) nicht immer das machte, was ich wollte. Schon in der folgenden Woche unternahm ich mit anderen einen Ausritt. Tara war fürs Ausreiten mit uns verantwortlich. Sie war Kanadierin und wohnte im gleichen Tal. Sie begleitete uns auf den Ausritten, so mussten wir beim Reiten englisch sprechen. Die Ausritte wurden bei Wind und Wetter gemacht. Einen Sonnenaufgang auf dem Camel’s Hump erleben gehörte dazu. Das bedeutete, dass im Dunkeln die Pferde von der Weide geholt, gestriegelt und gesattelt werden mussten. Das Reiten im Morgengrauen, die langsam erwachende Natur und ein fantastischer Sonnenaufgang war der Lohn dafür.

Reiten mit einem Cowboy

Die Ausritte waren jedoch nicht immer erfolgreich, wie sie geplant waren. So ritten wir an einem Sonntagmorgen im Morgengrauen los um Wildtiere zu beobachten. Als wir dann nach gut einer Stunde Ritt bei einem See eine Pause machten, hatten wir noch kein Tier gesehen. Wir fragten uns, weshalb wir nicht wie die anderen in den warmen Betten geblieben sind. Während wir etwas herum liefen, kam plötzlich Bewegung in unsere Gruppe. Fotoapparate wurden gezückt und Fotos gemacht. Da ritt ein Cowboy in voller Montur auf uns zu. Sogleich lud er uns ein, beim Rinder zusammentreiben zuzuschauen. Wir waren sofort begeistert von dieser Idee. Ein wenig unsicher, ob ich das auch schaffe, versicherten mir alle, dass sie auf mich aufpassen werden. Das Glück war uns nicht hold. Vier Jungtiere haben wir auf unserem Weg gekreuzt. Etliche Kuhfladen zeugten davon, dass noch mehr Tiere in diesem Gebiet umher ziehen, gesichtet haben wir sie jedoch nicht. Nach einem Ritt über Stock und Stein mussten wir absteigen. Es war zu steil um weiter zu reiten. Mit den Pferden an den Zügeln kletterten wir den Hang hoch. Weit und breit keine Tiere in Sicht. Als dann auch noch zwei Hufeisen gefunden wurden, welche dem Pferd des Cowboys gehörten, war dieses Abenteuer endgültig zu Ende. Durch den Wald und über umgekippte Bäume ritten wir zurück. Beim vorsichtigen Überqueren eines Grabens lernte ich dann die unangenehme Seite des Sattelhorns kennen. Langsam lenkte ich Skip den Graben hinunter. Unten angekommen war ich nicht auf den Sprung gefasst und wurde so unvorbereitet aus dem Sattel geworfen. In aller letzter Sekunde ergriff ich das Sattelhorn - einen blauen Fleck am Oberschenkel zeugte jedoch von einem weniger angenehmen Zusammentreffen von Sattelhorn und Bein. Diejenigen, welche meine akrobatische Einlage gesehen hatten, erholten sich schnell wieder von diesem Schreck. Zurück auf der Ranch hatten wir den zuhause Gebliebenen viel zu erzählen und auch das Morgenessen schmeckte uns doppelt so gut wie sonst.

Kanadisches Nachtleben

Beim Abendessen sollte jeweils nur englisch gesprochen werden. Danach wurde abgeräumt, Ämtli erledigt und oft noch gespielt; ob Dog, jassen oder einfach nur plaudern. Die neusten Nachrichten, welche wir per Mail aus der Schweiz bekamen, waren immer spannend. Dabei wurde es häufig später. An lauen Sommernächten sassen wir oft auf der Veranda vor einem Häuschen und hörten «Countrymusic». Zu vorgerückter Stunde konnten Sterne gezählt und Sternbilder beobachtet werden; wie der grosse Wagen aussieht wussten am Schluss alle. Uns gingen fast die Wünsche aus, bei so vielen Sternschnuppen. Wir hatten es bei «Spitz»,«Canadian dry» (kanadisches Süssgetränk) oder «Kokanee» (kanadisches Bier) im Kerzenschein gemütlich. Zwischendurch ertönte das Geheul der Kojoten und Ginger, unser Hund, stimmte freudig mit ein.

«SPITZ» - ist das eine Droge?

Auch die Neuen wurden bald in das Geheimnis des Spitzessens eingeweiht. Wobei auch mal die Frage auftauchte, ob das legal sei. Sobald die betreffende Person jedoch herausgefunden hatte, dass Spitz nichts anderes als gesalzene Sonnenblumenkernen waren, wurde das Interesse daran sichtlich kleiner. Diese knackten wir mit grosser Routine zwischen den Zähnen. Am nächsten Morgen zeugten dann die Überreste der Schalenteile auf dem Boden vom nächtlichen Gelage. Auch die Pferde mochten diese Salzdinger gerne und so wurden die Spitz eine wichtige Verpflegung und Beschäftigung während dem Reiten und überall sonst.

Aktives Freizeitprogramm

Natürlich war Reiten nicht die einzige Beschäftigung. Am Nachmittag war Lernen, Baden oder Fischen im nahe gelegenen See oder ein Einkaufsbummel in Lumby oder Vernon angesagt. Am Wochenende besuchten wir eine heisse Quelle, welche versteckt in einem Wald in der Nähe von Naskup lag. Wir genossen ein Barbecue am See oder machten einen Tagesausritt in der Umgebung. Ein Cowboytreffen auf der «O’Keefe Ranch» strapazierte unsere Fotoapparate. Da hatten wir so viele Sujets und DIE Gelegenheit, unser Englisch zu gebrauchen. Natürlich besuchten wir auch ein Rodeo. Und diejenige, welche nach ihrem Aufenthalt auf der Ranch direkt wieder nach Hause mussten, mieteten zu viert ein Auto, um nach Vancouver zu fahren und Vancouver Island zu besichtigen. Am Donnerstagabend konnten Interessierte in Lumby in einem Club «Linedance» erlernen. Diese Tänze übten wir dann auf der Ranch und zeigten sie unserer Lehrerin, welche uns die dazugehörige Musik brachte. Und so tanzten wir zu neuen Country-Liedern unsere «Lines»….

Goodbye

Zu schnell vergingen die acht Wochen auf der Ranch. Bald hiess es für mich Abschied nehmen. Es war nicht einfach, hatte ich doch neue Freundschaften geschlossen und gemeinsam viele grosse und kleine Abenteuer erlebt. Der Aufenthalt auf der Ranch war interessant und lehrreich. Ich lernte mich und andere Charakter besser kennen. In dieser fremden Umgebung wurden alle herzlich aufgenommen und ich fühlte mich wie Zuhause. An meinem letzten Tag konnte ich mit Pat nach Vernon mitfahren. Sie fuhr mich zum Hostel. Sie erklärte mir, welches Museum ich unbedingt sehen sollte und wo die Bibliothek sei (immer wichtig zu wissen, denn dort kann das Internet häufig gratis genutzt werden). Und erst nachdem ich ihr versicherte, dass ich mich bei ihr melden würde, wenn ich Probleme hätte, verabschiedete sie sich beruhigt von mir. Von da an startete ich in ein anderes Abenteuer. Auf eigene Faust bereiste ich Britisch Kolumbien und Alberta mit dem Greyhound Bus und «Backpack» (Rucksack-Reisen).

Adresse der Gäste-Ranch

Camelshump Familie Brigitte & Urs Salzmann Creighton Valley Road 1129 Lumby BC V0E2G0 Kanada Tel 001 250 547 90 60 (minus 9 Stunden Zeitverschiebung) www.camelshump.ca